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Tarifverträge für Theater-Deutschland

  17.07.2020 11:53, von , Kategorien: Karlsruhe aktuell, Kultur, Betrieb & Gewerkschaft, Selbstständige in ver.di, Arbeitsrecht, Ökonomie

Karlsruhe • Staatstheater • Michel Brandt • 17.07.20

Zur Causa Badisches Staatstheater Karlsruhe

Zeit für Veränderung

Unterüberschrift

(woi) Das badische Staatstheater Karlsruhe und die Arbeitsbedingungen dort sind in den vergangenen Wochen Thema der Karlsruher Stadtgesellschaft und deutscher Medien geworden. Michel Brandt hat als ehemaliger Schauspieler und Personalrat des Staatstheaters eine besondere Beziehung zum Haus und den Angestellten. Er erhielt im Jahr 2016 den Deutschen Personalrätepreis, seit 2017 sitzt er für Die Linke im Dt. Bundestag.

 Michel Brandt hat eine persönliche Stellungnahme zu den Geschehnissen geschrieben und mahnt als Voraussetzungen für „Gute Arbeit“ eine Strukturreform in Theater-Deutschland an und fordert den Vertrag NV-Bühne durch einen zeitgemäßen Tarifvertrag zu ersetzen:

 „Das geht nur, indem wir uns als Kulturschaffende organisieren – beispielsweise im Ensemblenetzwerk oder den Gewerkschaften.“

 In den letzten Tagen und Wochen ist die Situation am Staatstheater Karlsruhe medial hochgekocht und hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt.

 Es ist gut, dass diese Zustände jetzt öffentlich diskutiert werden – auch wenn sie nicht neu sind, sondern schon seit Jahren schwelen. Viele dieser Punkte waren für mich Grund, 2014 in den Personalrat des Badischen Staatstheaters zu gehen, wo ich von 2011 bis zu meinem Einzug in den Bundestag 2017 als Schauspieler gearbeitet habe.

 Generell sind die Arbeitsbedingungen an deutschen Stadt- und Staatstheatern oft höchst prekär und problematisch. Das hat vor allem mit Unterfinanzierung und dem, für die künstlerischen Bereiche geltenden Vertrag, dem NV-Bühne zu tun. Es ist ein strukturelles Problem, wenn immer mehr, immer billiger und mit immer weniger Personal produziert werden soll. Gleichzeitig wird an den meisten Theatern nach völlig veralteten Hierarchiemodellen agiert. Beispiel dafür ist unter anderem in Karlsruhe das Modell des Generalintendanten. Diese Struktur des alleinigen Machthabenden in Kombination mit der üblichen Theaterfolklore (Selbstausbeutung, Konkurrenzverhalten, Geniekult) ist prädestiniert für Machtmissbrauch und toxisches Verhalten, wie Thomas Schmid in der Studie „Macht und Struktur am Theater“ eindrücklich darlegt. Dieses Modell ist ein Relikt alter Vorstellungen von Hierarchie und Macht. Will man die aktuelle Debatte ums Staatstheater ins Positive drehen, könnte man sagen: Jetzt ist die Chance, damit zu brechen.

 Die vielen Gespräche, die ich die letzten Wochen mit Mitarbeiter*innen und ehemaligen Kolleg*innen sowie mit dem Personalrat und den verschiedenen Ensemblevertretungen geführt habe, zeichnen ein erschreckendes Bild und machen deutlich, wie tief die Gräben sind.

 Umso wütender machen mich die Reaktionen von Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) und Ministerin Theresia Bauer (GRÜNE), Vorsitzende des Verwaltungsrats des Staatstheaters. Bereits zu meiner Zeit im Personalrat haben wir beide immer wieder auf untragbare Zustände am Haus hingewiesen, beispielsweise massive und strukturelle Überschreitung von Arbeitszeiten, erzwungene Fälschung von Stundenzetteln, massive Verstöße gegen das Arbeitszeitschutzgesetz, darauf folgende Burn Out-Fälle und Kündigungen.

 Es ärgert mich und es ist ein Skandal, dass wir sowohl von Frau Bauer als auch Herrn Mentrup jetzt vernehmen müssen, sie hätten davon angeblich nichts gewusst.

 Entweder sie haben es nicht gewusst – dann haben sie ihren Job nicht gemacht.

 Oder sie haben es geduldet – dann habe sie ihren Job nicht gemacht.

 Man hat in Peter Spuhler einen Intendanten gefunden, der, ohne Frage, das Haus entwickelt hat und zu einem präsenten Teil der Stadtgesellschaft gemacht hat. Im Gegenzug dafür darf allerdings der Verwaltungsrat nicht über die Situation der Beschäftigten hinwegschauen, wie er es über Jahre getan hat.

 Es braucht in ganz Theater-Deutschland eine Strukturreform; fangen wir in Karlsruhe damit an: Erste Konsequenzen der morgigen Verwaltungsratssitzung wären:

  • Weg mit dem Modell des Generalintendanten, hin zu Teamlösungen und Gestaltungsfreiheit der Sparten.
  • Echte Kontrolle heißt, den Verwaltungsrat umzustrukturieren. Die Gewerkschaften, die die Beschäftigten vertreten, müssen mit an den Tisch. Der Personalrat braucht ein Stimmrecht und die Ensemblevertretungen müssen teilnehmen können.

Es ist klar, dass der Vertrag NV-Bühne durch einen zeitgemäßen Tarifvertrag ersetzt werden muss. Doch einige Maßnahmen könnte man jetzt schon auf politischer Ebene treffen:

  • Falls es auf Grund der Vorfälle zu einem Wechsel an der Spitze des Theaters kommen sollte, muss es eine Beschäftigungsgarantie für alle Künstlerinnen und Künstler sowie NV-Bühne-Beschäftigten auf mindestens zwei Jahre geben.
  • Die Regelarbeitszeit darf die 40-Stunden-Woche nicht mehr überschreiten (NV-Bühne zur Zeit 48 Stunden).
  • Mit dem Personalrat sind Vorstellungsobergrenzen zu vereinbaren.
  • Die Belegschaft des Badischen Staatstheaters ist in den gesamten Umstrukturierungsprozess mit einzubeziehen.
  • Den Vorwürfen, die jetzt öffentlich im Raum stehen, muss unabhängig und konsequent nachgegangen werden.

 Das darf aber nur der Anfang sein, denn das gesamte deutsche Theatersystem steckt in der Krise. Es geht darum, in der ganzen Theaterlandschaft einen wirklichen Wandel zu gestalten. Das geht nur, indem wir uns als Kulturschaffende organisieren – beispielsweise im Ensemblenetzwerk oder den Gewerkschaften.

 Ich wünsche allen meinen Kolleg*innen - aus Technik, den künstlerischen Abteilungen, Gewerken, Garderobe, Kantine – vor und hinter der Bühne – viel Kraft und das Beste für das Badische Staatstheater.

Michel Brandt  

Zu den Hintergründen Artikel aus der SZ und den BNN

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